Leipziger Internetzeitung, 03.04.2010

Moritaten, Limericks und schaurige Reime: Ein Suppenkasper gibt den Löffel ab

 

Ein Suppenkasper gibt den Löffel ab.

Auf den Lesebühnen dieser Welt gelten andere Gesetze. Da geht es um Spaß, den scharfen Witz, die deftige Pointe. Oder um den treffsicheren Reim. Es wird wieder gereimt. Selbst die Jugend greift zur geschärften Waffe. Da fließt dann auch mal Blut.

 

Und nicht zu wenig, denn wenn Jan Lindner, 25, in Jena geboren, zum Vers greift, geht es um eine Welt-Erkundung jenseits der schönpolierten Kulissen. Dann geht es auch nicht um schnöde Ich-Betrachtung oder den Spitzentanz des Nicht-Sagbaren, mit denen selbst die Pop-Avantgardisten aus der Nachhut das preisverleihende Publikum verärgern. Wahrscheinlich bekommt die L-IZ deswegen auch den ein oder anderen Gedichtband nicht mehr zugesandt – auch wenn man sich bemüht hat, nicht gar zu deutlich zu sagen: Der Dichter ist nackt. Manchmal sind es auch weibliche Geschöpfe. Da ist das schön. Und passt so selten: Frauen haben ein Gespür für Schicklichkeit und den Sinn von Worten und Bildern. Ihnen gelingt öfter, was sie sich vornehmen, wenn sie sich mit dem Federhalter ans Fenster setzen wenn's draußen regnet.

Volly Tanner findet Jan Lindners Texte prima. Er weist in seinem launigen Vorwort auch auf die Diaspora des jungen Mannes hin. Die Reime bemerkt er und rühmt er auf seine Art. Denn natürlich sind die meisten Reime schrecklich. Das 19. Jahrhundert hat in der deutschen Versschmiedekunst scheußlichste Verwüstungen angerichtet. Doktorierte Gymnasiallehrer, Bahnhofsvorsteher und pensionierte Frauenärzte haben sich alle Mühe gegeben, den blanken Reim abzugrasen, zu archivieren und zu besetzen mit gefühligem Ersatz. Die Deutsche Dichterhalle ist gefüllt mit der Schredderware des reimverliebten Seniorats. Das reimte, wie man weiß, auch 1914, 15, 16 fort. Da passten die Nachklänge genauso gut zu Tod und Blut und Erde, Ehre und Stolz und dem ganzen hohlen Brimborium der fühligen Nachtarbeiter.

Was blieb? - Eine Wüste. Ein "waste land". Da braucht man nicht erst bei T. S. Elliott nachzulesen. Den Engländern und Franzosen ging es wahrscheinlich genauso. Das größer gewordene Kleinbürgertum wiederkäute die Klassik, dass es in lauter kleinen Goethes und Voltaires und Wildes aus den Druckereien wieder herauskam. So bar aller Selbst-Erlebnis, dass sich kein Verlag und kein Übersetzer je die Mühe machte, das Zeug in andere Sprachen zu übersetzen.

Ein verwüstetes Land, das sich Jan Lindner da ausgesucht hat. Aber der Titel ist nicht ohne Grund gewählt. Er nutzt die Vorlagen, um sie neu zu belichten, er stülpt sie um. Das Löwenmäulchen erfährt genauso eine Neu-Vertonung wie Wanderers Sommerliedchen, das bei Lindner "Ich hatte mein Glück einst gefunden" heißt. Er besingt Dosentomaten und "Pi x Daumen". Und spielt mit den Reimen. Ein paar boshafte Limericks stecken im Buch. Aber auch jede Menge Wort-Spiele nach dem Muster "Der Nackenschalk: Ein Mackenbalg".

Manchmal wird er ernsthaft. Dann kann sich ein Gedicht auch schnell zu einer schaurigen Moritat entwickeln. Dann wird aus einer süßen Tändelei am Abgrund ein durchaus freundlich bereimter Sturz. Zwei Brüder schlagen sich zu Tode. Die Kulisse: romantisch wild. - Lindner kommt immer wieder drauf zurück. Man merkt: Er kann nicht anders. Diese Orgie, die die beherzten deutschen Schreibtischarbeiter da im unromantischen Jahrhundert der Verbürgerlichung feierten und Romantik nannten, zieht ihn immer wieder in den Bann. Man sieht die Opernkulisse. Hört das Schnädderedäng der Jagdhörner und wartet beinah auf Wagnersche Chöre.

Die kommen natürlich nicht. So weit ist der Dichter noch nicht. Er arbeitet sich erst einmal durch den Gemüsegarten der falschen Märchenzauber und der Kinderveralberungen. Das geht manchmal schief. Ein gut Teil der romantisierten Kulissen ist einfach nicht mehr zu verbessern oder gar zu durchleuchten. Hinter so manchem anheimelnden Dräuen und Stürmen steckt nichts anderes als eben das: unbewältigte Ratlosigkeit. Das kochte sich ja, wie man weiß, historisch ganz seltsam aus. Lindner zeigt: Für den Bühnenrapport ist es noch brauchbar. Da entfaltet das theatralische Vokabular noch einmal seine geschminkte Wortfreude. Man kann die Texte auch auf der Leiter vortragen. Regelmäßiger Blechdonner passt. Und ein weiß getünchtes Gesicht. Und dann tun sich jene Abgründe auf, die heute noch so manchen Kunstkenner in der Bütt zu zitteriger Vortragsweise animiert: Man sieht sie niederzeigen auf die stürmenden Wellen in finsterer Nacht. Und dann kommt's: "Es dräut!"

Was für eine Sprache. Lindner dreht sie mit Witz und Freude immer wieder durch die Hexalotte. Manchmal könnte es ruhig noch eine Drehung mehr sein. Da spielt ihm der altvordere Ernst noch einen Streich. Vielleicht nimmt man mit 25 manche Dinge noch für zu wichtig. Die Talkshows aus dem nachmittäglichen Abfütterungsprogramm der deutschen TV-Anstalten etwa, über die selbst honorige Magazine noch berichten, als wäre ernst gemeint, was da gesuppenkaspert wurde.

Fazit: Der Suppenkasper hat seinen Löffel überhaupt nicht abgegeben. Es es genauso wie weiland bei Frau Neuberin: Es wird weiter gekaspert. Und Bärbel mit ihrer Deppen-Show hat sehr viel zu tun mit der deutschen Reimerei. Es ist ein ganz verwandter Gefühlsaufguss. Und Jan Lindners Gedichte sind da am schönsten, wo sie das Theater konsequent zum Showdown führen.

Jan Lindner "Ein Suppenkasper gibt den Löffel ab", Edition PaperOne, Leipzig 2009, 8,50 Euro

 

Ostthüringer Zeitung, 12.02.2010

Rezension zu Jan Lindners "Ein Suppenkasper gibt den Löffel ab" in der Ostthüringer Zeitung

 

Jenapolis, 07.02.2010

Jenaer Jungautor Jan Lindner: Ein Suppenkasper gibt den Löffel ab

 

Dieses Buch liest sich höchst vergnüglich: „Ein Suppenkasper gibt den Löffel ab.” Erschienen ist das Buch in der Edition PaperONE in Leipzig im Dezember 2009. Der junge Jenaer Autor Jan Lindner hat sich damit einen Traum erfüllt und sein erstes Werk vorgelegt. Erfahrungen hat Lindner bereits auf der Bühne gesammelt, sich bei diversen Poetry-Slams probiert. Den Texten merkt man die Liebe zur Sprache an, die Freude am Wortspiel, den Wortwitz. Lindner hat sein Büchlein in mehrere Kapitel unterteilt, denen ein Vorwort von Volly Tanner beigegeben ist. Im ersten Kapitel, das etwas kryptisch „Und aus dem Mohr die Greise ziehen” überschrieben ist, sind Gedichte versammelt, deren Texte eingängig sind, leicht verdauliche Kost auf den ersten Blick. Doch aufgepasst! Der Autor hat Zutaten hineingetan, die im Magen brennen, die schwer darin liegen bleiben.

Im zweiten Teil „Vom Dromedar getreten” atmen die Texte die Atmosphäre der Poetry-Slam-Bühne: „Auf Partys will ich motzen, küssen - und nicht andauernd kotzen müssen”, so beginnt Reines Feiern/Feines Reihern, ein Gedicht, das eine wilde Fete beschreibt. Etwas später lesen wir „Der emsige Maler”: Ein emsiger Maler aus München/der wollte sich blau sein Haus tünchen./Doch fand seine Frau/das blau ganz schön mau/drum musste er diese erst lynchen.

Mit „Prosa Kaninchen” ist das dritte Kapitel überschrieben. Wir lernen die Bärbel-Show kennen und die kann nur für bitterböse Satire halten, wer das Vormittagsprogramm im Fernsehen nicht kennt. Sätze wie „Ich geh ja wenigstens Schule und bin im Gegensatz zu dir wenigstens Schreiben und Lesen!” strapazieren die Lachmuskeln und lassen das Lächeln später gefrieren.

Lesevergnügen pur bietet das Büchlein Jan Lindners. Foto: Stephan Laudien/Jenapolis

Das Hohelied der Liebe singt Jan Lindner im vierten Kapitel „Komm noch ein Stückchen näher”. Wunderschöne Gedichte sind hier versammelt, poetische Zeilen wie „mein herz ist./ein sittich im käfig./ flattert wild/von stab zu/stab zu/futternapf zu stab -/federn/pendeln sanft/zu boden./von stab zu/stab zu. /starb.

Es macht Spaß, die Texte Jan Lindners zu lesen. Der weitere Weg des jungen Autors verdient Beachtung, ohne Zweifel.